Als erstes Unternehmen außerhalb Asiens hat Lufthansa Technik am Hamburger Standort sein eigenes Standalone-5G-Campus-Netz nach dem 5G-Standard Release 16 in Betrieb genommen. Damit ist es nun möglich, datenaufwändige Projekte zu realisieren und noch effizienter zu arbeiten. Wir haben mit Dr. Claudius Noack gesprochen, IT-Berater und Technology Scout bei Lufthansa Industry Solutions: Über die Projekte, über Herausforderungen bei der Realisierung und über zentrale Punkte, die Unternehmen bei ihrem eigenen 5G-Netz beachten sollten.
„Unternehmen müssen sich fragen, welche Probleme 5G lösen soll“
Norderstedt, 28. Februar 2020 – Herr Dr. Noack, gemeinsam mit Herrn Voigt von der Lufthansa Technik haben Sie die 5G-Projekte geleitet.
Was genau wurde dabei umgesetzt?
Kurz gesagt haben wir am Hamburger Standort der Lufthansa Technik zwei Anwendungsfälle mit 5G-Technologie realisiert. So kann zum einen die Triebwerksinstandhaltung künftig virtuell durchgeführt werden. Ein mobiles Gerät überträgt Live-Bilder von einzelnen, ausgebauten Triebwerksteilen störungsfrei und in hochauflösender Qualität per Videostream zum Standort des Kunden. Er kann sich direkt mit den Mechanikern zu den ausgebauten Teilen austauschen und auf Basis des Live-Streams Auftragsentscheidungen treffen, ohne wie bislang extra nach Hamburg kommen zu müssen.
Welchen Schwerpunkt hatte das andere Projekt?
Hier lag der Fokus ebenfalls darauf, Abstimmungsprozesse weiter zu verschlanken. Auch, wenn die Voraussetzungen völlig andere sind. Die Idee lautete, den Einrichtungsprozess der VIP-Flugzeugkabinen simpler zu gestalten. Im noch leeren Flugzeugrumpf lassen sich nun per Augmented Reality alle 3D-Konstruktionsdaten zusammen mit der aktuellen Einbausituation im Flugzeug visualisieren. So können die Techniker zukünftig notwendige Anpassungen schneller erkennen und per Videokonferenz mit den Ingenieuren die nötigen Maßnahmen besprechen.
Wie sind Sie im Rahmen dieser Projekte vorgegangen?
Am Anfang steht die Anwendungsfallanalyse. Lufthansa Technik war von Beginn an sehr offen für mögliche Potenziale. Für uns stand also zunächst die Suche nach konkreten Anwendungsfällen im Mittelpunkt. Hier haben wir eng mit der Innovationsabteilung zusammengearbeitet und streng nach Umsetzbarkeit und Mehrwert sondiert und priorisiert. Im Anschluss steht die Entscheidung an, welcher 5G-Partner sich mit seiner Technik am ehesten für das jeweilige Projekt eignet. Benötigt das Unternehmen die Unterstützung eines Netzbetreibers? Oder ist die Zusammenarbeit mit einem reinen Ausrüster wie zum Beispiel Nokia oder Ericsson ausreichend? Je nach Anwendungsfall stehen Unternehmen vor der Entscheidung, auf bestehende Frequenzen eines Netzbetreibers zu setzen oder aber eigene Frequenzen zu reservieren und zu beantragen. Ist das Projekt auf einen konstant hohen Datendurchsatz angewiesen, sollte die Wahl auf eigene Frequenzen fallen, die zudem besonders sicher sind. Allerdings müssen Unternehmen diese bei der Bundesnetzagentur beantragen. Ein Verfahren, bei dem man sich unbedingt Expertise von außen einholen sollte. Die Antragsteller müssen glaubhaft versichern, dass sie die Frequenzen benötigen und müssen darlegen, welche Vorhaben sie mit der Technologie lösen wollen. In diesem Schritt erfolgt auch eine Abstimmung mit direkten Nachbarn und anderen Stakeholdern. Insgesamt ist dieser Punkt langwierig und kann über mehrere Wochen Kapazitäten binden. Dessen sollten sich Verantwortliche bereits zu Beginn des Projektes bewusst sein. Zuletzt ist eine Unterstützung beim Rollout des Projektes ratsam. Ohne Checklisten oder entsprechende Erfahrungswerte ist es möglich, dass abhängig von dem Umfang des Anwendungsfalls sehr viel Zeit verloren geht. Es ist wichtig, verschiedene Ansprechpartner im Unternehmen frühzeitig in das Projektteam einzubinden – vom IT-Experten, über den Elektriker bis zum Hausmeister.
Und was empfehlen Sie Unternehmen, die selbst ein 5G-Netz umsetzen wollen?
Wie gerade angeklungen, sollte zunächst ausreichend Zeit eingeplant werden. In unserem Fall lief das Projekt seit Mai 2019, wobei im September 2019 die Evaluierung der Anwendungsfälle abgeschlossen war und wir mit der Umsetzung der beiden Cases beginnen konnten. Abhängig vom jeweiligen Anwendungsfall sollte jedes Unternehmen mit etwa sechs Monaten Realisierungsphase rechnen, sobald klar ist, wie man die 5G-Technologie für sich nutzen kann. Bei der Beantwortung dieser Frage sollten die Unternehmen ehrlich mit sich selbst sein. Welche Herausforderungen bestehen in der Branche und im eigenen Unternehmen? Lassen sich diese eventuell auch mit bestehenden Lösungen wie WLAN oder dem öffentlichen 4G-Netz genauso gut oder sogar besser umsetzen. Wichtig ist es, auf Projektpartner zu setzen, die unabhängig vom jeweiligen Anbieter Orientierung in Entscheidungsprozessen bieten können. So können Unternehmen Zeit und Geld sparen sowie böse Überraschungen im produktiven Betrieb vermeiden. Denn wie immer lautet die Devise: Es muss nicht unbedingt die neueste Technologie sein – sie muss nur das bestehende Problem lösen können. Das gilt auch für 5G.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Noack.
Lufthansa Industry Solutions ist ein Dienstleistungsunternehmen für IT-Beratung und Systemintegration. Die Lufthansa-Tochter unterstützt ihre Kunden bei der digitalen Transformation ihrer Unternehmen. Die Kundenbasis umfasst sowohl Gesellschaften innerhalb des Lufthansa Konzerns als auch mehr als 200 Unternehmen in unterschiedlichen Branchen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Norderstedt beschäftigt über 2.000 Mitarbeiter an mehreren Niederlassungen in Deutschland, Albanien, der Schweiz und den USA.