Braucht es mehr Pragmatismus und Experimentierfreude in Sachen KI?
Michael Koch: Insgesamt herrscht in Europa eine größere KI-Skepsis als in den USA. Im Unternehmensalltag zeigt sich: Bei drei Viertel der KI-Anwendungen gibt es Widerstände in der Belegschaft. Die RAI Alliance kann hier Vertrauen schaffen. Viele Unternehmen zögern noch beim breiten KI-Einsatz aus Unsicherheit über verantwortungsvolle Implementierung. Der Schlüssel liegt im pragmatischen Ansatz: Nicht jedes Unternehmen braucht sofort eine KI-Abteilung, aber alle benötigen eine KI-Strategie. Schulungen und interner Kompetenzaufbau sind die ersten wichtigen Schritte.
Alois Krtil: Die rasante technologische Entwicklung verstärkt diese Dynamik. War generative KI vor wenigen Jahren noch ein Experimentierfeld, ist sie heute Alltag. Unternehmen sollten sich von regulatorischen Unsicherheiten nicht lähmen lassen, sondern in kontrollierten Umgebungen KI-Integration testen. Die RAI Alliance kann dabei helfen, Best Practices zu etablieren und den Dialog aktiv mitzugestalten.
Maximilian Kiener: Die Entwicklung von KI ist nicht nur Sprint, sondern auch ein Marathon – es geht um nachhaltige Systeme statt kurzfristige Effizienzgewinne. Innovation und Ethik sind dabei untrennbar verbunden: Ethik steckt bereits in der Wertschöpfung, die über rein ökonomische Ziele hinausgeht. Das Bild eines Zirkuszelts verdeutlicht die Herausforderung: Schnell aufgebaut, zieht es Besucher an, hinterlässt aber nur plattgetretenes Gras. Alternativ könnte man ein nachhaltiges Gebäude errichten – das dauert länger, aber es bleibt bestehen. Europa braucht beide Aspekte: agile Experimente für kurzfristige Innovation und gleichzeitig den Aufbau langfristig tragfähiger Strukturen.
Der nächste große Schritt beim Thema Künstliche Intelligenz ist Agentic AI. Mit welchen Risiken und Chancen?
Michael Koch: Die Möglichkeiten von Agentic AI sind in der Tat beindruckend. KI-Agenten können nicht nur Informationen bereitstellen, sondern auch autonom Entscheidungen treffen und Handlungen ausführen. Der ökonomische Druck treibt Unternehmen zu solchen vollautonomen Lösungen. Die Kernfragen lauten: Wie schaffen wir Vertrauen in diese Systeme? Welche Kontrollmechanismen sind nötig?
Maximilian Kiener: Ein zentrales Problem ist, dass wir noch keine geeignete rechtliche Kategorie für KI-Agenten haben. Das führt zu Unsicherheiten: Wer haftet, wenn ein KI-Agent einen Schaden verursacht? Welche Verantwortung trägt das Unternehmen, das ihn einsetzt? Auch unsere Sprache trägt zu Missverständnissen bei und suggeriert, dass hinter KI eine Art Bewusstsein steckt, was nicht der Fall ist. Letztlich handelt es sich ganz klar nicht um „denkende“ oder „fühlende“ Systeme.
Michael Koch: Trotz der Herausforderungen ist das Potenzial für Effizienzsteigerungen in Unternehmen enorm. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind schon heute in der Lage, eigene Prozesse zu optimieren – KI kann dabei alltägliche Aufgaben übernehmen. Aber: Dafür braucht es die richtige Balance zwischen Innovation und Sicherheit. Unternehmen müssen KI-Experimente wagen und gleichzeitig Verantwortung übernehmen. Das AI-Gesetz bietet dafür Orientierung, die Umsetzung in praktikable Strategien liegt aber bei den Unternehmen selbst.
Alois Krtil: Hier liegt unsere Chance: Die frühzeitige Integration von Responsible AI in die Unternehmensstrategie schafft Vertrauen und Marktvorteile. Unternehmen, die auf sichere und transparente KI setzen, sind schon heute besser aufgestellt. Europa kann eine Vorreiterrolle einnehmen und zeigen, dass sich Innovation und Ethik ergänzen.
Zum Abschluss: Was kann man Unternehmen im Umgang mit KI und deren Regulierung raten?
Maximilian Kiener: Zusammenfassend sind drei Aspekte entscheidend: Erstens, proaktive KI-Strategieentwicklung statt Warten auf den AI Act. Zweitens, Ethik als Innovationstreiber statt reiner Compliance-Aufgabe. Drittens, Fokus auf Zusammenarbeit – sei es in Allianzen oder im offenen Unternehmensaustausch.
Michael Koch: Ergänzend: Unternehmen müssen vor allem eins – anfangen und dabei müssen Unternehmen nicht alles selbst entwickeln. Netzwerke und Kooperationen ermöglichen Erfahrungsaustausch und Best-Practice. Intern braucht es eine Experimentierkultur für sicheres KI-Testing.
Alois Krtil: Letztlich geht es um verantwortungsvolle und mutige KI-Nutzung. Proaktive Unternehmen werden nicht nur Regulierungen erfüllen, sondern als Innovationstreiber wahrgenommen. Europa hat die Chance, seine Stärken auszuspielen – wenn wir es klug angehen.